Änderung des Kostenverteilungsschlüssels durch Mehrheitsbeschluss zulässig

Änderung des Kostenverteilungsschlüssels durch Mehrheitsbeschluss zulässig

Wichtige Grundsatzentscheidungen des Bundesgerichtshofes

04.04.2024
Durch das Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz (kurz: WEMoG) wurde § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG grundlegend geändert. Nach dieser Vorschrift können die Eigentümer nunmehr auch für Erhaltungsmaßnahmen eine vom Wohnungseigentumsgesetz oder von einer Vereinbarung abweichende Kostenverteilung beschließen.

Der BGH hatte in zwei verschiedenen Verfahren zu entscheiden, ob durch einen Beschluss nach § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG Wohnungseigentümer von der Kostentragung auch gänzlich befreit oder umgekehrt erstmals mit Kosten belastet werden können.

Sachverhalte:

Der Kläger ist Mitglied der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und Eigentümer einer Wohnung im Dachgeschoss. In einer Eigentümerversammlung im August 2021 fassten die Wohnungseigentümer den Beschluss, die (im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden) defekten Dachflächenfenster im Bereich des Sondereigentums des Klägers auszutauschen und dazu eine Fachfirma zu beauftragen. Weiter beschlossen sie, dass der Kläger - abweichend von der bisherigen Regelung - die Kosten des Fensteraustauschs allein tragen solle (BGH, Urteil vom 22.03.2024 - V ZR 81/23).

In der Gemeinschaftsordnung einer Wohnungseigentumsanlage war geregelt, dass die Erhaltungskosten nach dem Verhältnis der Miteigentumsanteile zu verteilen ist. Im Jahr 2021 hatten die Wohnungseigentümer, die Umlagevereinbarung teilweise zu ändern und die Kosten für etwaige "Sanierungs-, Reparatur-, Unterhaltungs- und Modernisierungsarbeiten" an den 20 Mehrfachparkern zukünftig nur noch die Eigentümer der Mehrfachparker alleine zu tragen haben (Urteil vom 22. März 2024 - V ZR 87/23). 

Gegen diese Beschlüsse haben die Teileigentümer jeweils Anfechtungsklage erhoben. Sie wenden sich gegen die beschlossene Kostenverteilung und wollen erreichen, dass die angefochtenen Beschlüsse für ungültig erklärt werden.

Entscheidungen:

Die jeweils eingelegten Revisionen bleiben erfolglos.

Die Beschlüsse über die Verteilung der anfallenden Kosten sind nach Auffassung des BGH weder nichtig noch anfechtbar. 

1. Es besteht eine Beschlusskompetenz
§ 16 Abs. 2 Satz 2 WEG gebe den Wohnungseigentümern die Kompetenz, für einzelne Kosten oder bestimmte Arten von Kosten eine vom gesetzlichen Umlageschlüssel oder von einer Umlagevereinbarung abweichende Verteilung zu beschließen. Das gelte auch, wenn einzelne Wohnungseigentümer von der Kostentragung gänzlich befreit oder umgekehrt erstmals mit Kosten belastet werden. 

2. Beschluss entspricht auch ordnungsmäßiger Verwaltung. 
Den Wohnungseigentümern ist bei Änderungen des Umlageschlüssels aufgrund des Selbstorganisationsrechts der Gemeinschaft ein weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt. Beschließen die Wohnungseigentümer für einzelne Kosten oder bestimmte Arten von Kosten der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer eine Änderung der bisherigen Verteilung, dürfen sie - wie schon nach der alten Rechtslage - jeden Maßstab wählen, der den Interessen der Gemeinschaft und der einzelnen Wohnungseigentümer angemessen ist und insbesondere nicht zu einer ungerechtfertigten Benachteiligung Einzelner führt. 

Werden Kosten von Erhaltungsmaßnahmen, die nach dem zuvor geltenden Verteilungsschlüssel von allen Wohnungseigentümern zu tragen sind, durch Beschluss einzelnen Wohnungseigentümern auferlegt, entspricht dies - wie schon nach § 16 Abs. 4 WEG aF - jedenfalls dann ordnungsmäßiger Verwaltung, wenn die beschlossene Kostenverteilung den Gebrauch oder die Möglichkeit des Gebrauchs berücksichtigt. 

Daran gemessen ist der Beschluss nicht zu beanstanden. Durch die getroffene Regelung werden nur die Teileigentümer der Doppelparker mit Kosten belastet, die - im Gegensatz zu den übrigen Wohnungseigentümern - auch einen Nutzen aus der Erhaltung des Gemeinschaftseigentums an den Doppelparkern ziehen und denen die Erhaltung des Gemeinschaftseigentums wirtschaftlich zugutekommt. 

Auch das Rückwirkungsverbot gebietet hier keine andere Beurteilung. Denn bei typisierender Betrachtung konnten die Teileigentümer nicht darauf vertrauen, dass die gesetzlichen Öffnungsklauseln dauerhaft unverändert bleiben und die Mehrheitsmacht nicht erweitert wird. Vielmehr muss mit Änderungen gesetzlicher Rahmenbedingungen grundsätzlich gerechnet werden.

Der Gesetzgeber habe bewusst auf Beschränkungen und inhaltliche Vorgaben verzichtet.
§ 16 Abs. 2 Satz 2 WEG erfasst daher - mit Ausnahme der Kosten baulicher Veränderungen (§ 16 Abs. 3 WEG) - sämtliche Kosten und schließt lediglich eine generelle Änderung aus.

Bedeutung der Entscheidung

Durch Beschlüsse nach § 16 Abs. 2 S. 2 WEG können die Kosten für Erhaltungsmaßnahmen abweichend von der Gesetzeslage oder einer Vereinbarung in der Gemeinschaftsordnung durch Mehrheitsbeschluss individuell verteilt werden, sofern die beschlossene Kostenverteilung den Gebrauch oder die Möglichkeit des Gebrauchs angemessen berücksichtigt. 
Derartige Beschlüsse gelten auch ohne Grundbucheintragung gem. § 10 Abs. 3 S. 2 WEG auch gegenüber Sonderrechtsnachfolgern!!!

Praxistipp 1:

Um den richtigen Verteilungsschlüssel zu ermitteln, müssen Erwerber von Wohnungseigentum aber vor allem auch der Verwalter bei der Übernahme eines Objektes nicht nur in der Teilungserklärung, sondern auch in der Beschlusssammlung nachsehen, ob entsprechende Beschlüsse zur Änderung des Kostenverteilungsschlüssels gefasst worden sind. Da der BGH – wie oben ausgeführt –  eine Beschlusskompetenz auch dann bejaht, wenn einzelne Wohnungseigentümer von der Kostentragung gänzlich befreit oder umgekehrt erstmals mit Kosten belastet werden, werden diese, sofern sie nicht angefochten werden, bestandskräftig und sind dann vom Verwalter dann zwingend zu beachten.

Praxistipp 2:

Beschlüsse zur Änderung des Kostenverteilungsschlüssels, die vor dem 1.12.2020 gefasst worden sind, werden nicht automatisch nach Inkrafttreten der WEG – Reform wirksam. Sofern die GdWE an der beschlossenen Kostenverteilung festhalten möchte, sollte der Beschluss nochmals auf einer Eigentümerversammlung neu gefasst bzw. bestätigt werden, um etwaige Mängel zu heilen.

Praxistipp 3:

Bei einer etwaigen Beschlussfassung nach § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG ist unbedingt zu beachten, dass sich die Beschlusskompetenz nur auf eine Änderung des Kostenverteilungsschlüssels bezieht, mit einem derartigen Beschluss können aber keine Handlungspflichten begründet werden. Das bedeutet, für die Durchführung der Erhaltungsmaßnahmen bleibt weiterhin die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zuständig, lediglich die Kosten für die Durchführung der Maßnahme können abweichend von der bisherigen Regelung verteilt werden.
BGH, Urteile vom 22.03.2024 - V ZR 81/23 und V ZR 87/23

Autor: Michael Schmidt M.L.E., GROSS Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
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