Bauliche Veränderungen
In der WEG
06.09.2023In diesem Beitrag soll es um die bbV, die böse bauliche Veränderung, gehen. Wir wollen einen Überblick über die Regelungen zur baulichen Veränderung nach der Modernisierung des Wohnungseigentumsrechts geben und auf die Besonderheiten bei Beschlüssen eingehen. Dieser Beitrag entspricht einem Kapitel aus einem Lehrbuch zur Verwalterzertifizierung.
Übersicht: Bauliche Veränderungen
1. § 20 WEG ist die zentrale Vorschrift für Genehmigung und Durchführung baulicher Veränderungen
2. § 20 Abs. 2 WEG gewährt erstmals einen Anspruch auf privilegierte bauliche Maßnahmen
3. § 21 Abs. 5 WEG regelt eine weitgehende Beschlusskompetenz zur Änderung von Kostenverteilungsschlüsseln in Bezug Herstellung und Folgekosten baulicher Veränderungen
Definition:
Bauliche Veränderungen sind danach Maßnahmen, die über die ordnungsmäßige Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen, die §§ 20, 21 WEG finden daher keine Anwendung bei Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen, die der bloßen Erhaltung des Gemeinschaftseigentums dienen und auch nicht bei Maßnahmen zur erstmaligen plangerechten Herstellung des Gemeinschaftseigentums. Die Abgrenzung spielt vor allem bei den unterschiedlichen Regelungen zur Kostentragung (§ 16 WEG für Erhaltungsmaßnahmen und § 21 WEG bei baulichen Veränderungen) eine Rolle.
§ 20 WEG:
Bauliche Veränderungen können
- beschlossen werden, d.h. die GdWE führt die Maßnahme selbst durch (Vornahmebeschluss) oder
-einem Eigentümer durch Beschluss gestattet werden, d.h. der beantragende Miteigentümer darf die Maßnahme selbst durchführen (Gestattungsbeschluss).
Beschlusszwang
Nach § 20 Abs.2 WEG ist „über die Durchführung im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung zu beschließen“, damit stellt das Gesetz klar, dass bauliche Veränderungen immer einer Genehmigung durch Beschluss bedürfen (BGH, Urt. v. 17.3.2023 – V ZR 140/22).
Fehlt ein entsprechender Genehmigungsbeschluss, darf die bauliche Veränderung durch einen einzelnen Wohnungseigentümer nicht vorgenommen werden und stellt eine rechtswidrige Eigentumsbeeinträchtigung dar, auf deren Unterlassung ein Anspruch gem. § 1004 I 2 BGB besteht. Ein Gestattungsbeschluss ist jedoch auch nachträglich möglich, nachdem die bauliche Veränderung bereits durchgeführt wurde (BGH NZM 2020, 805 Randnummer 10).
Beschlussfassung
Eine Bauliche Veränderung ohne Beschluss ist nicht möglich. Ein Beschluss über die Genehmigung baulicher Maßnahmen am gemeinschaftlichen Eigentum kommt mit einfacher Mehrheit der Stimmen zustande, wobei auch die nicht beeinträchtigten Eigentümer stimmberechtigt sind. Daneben muss die Zustimmung derjenigen Eigentümer vorliegen, die durch die Maßnahme ggf. unbillig beeinträchtigt werden. Gehen die baulichen Veränderungen über die Instandhaltung des Gebäudes hinaus und verändern die Eigenart der Wohnanlage auf Dauer, müssen alle Eigentümer zustimmen.
Grenzen der Beschlussfassung
Nach § 20 Abs. 4 WEG dürfen bauliche Veränderungen die
- einen Wohnungseigentümer ohne sein Einverständnis gegenüber anderen unbillig benachteiligen.
- die Wohnanlage grundlegend umgestalten
nicht beschlossen oder gestattet werden.
Zustimmungserfordernis unbillig beeinträchtigter Eigentümer
Eine unbillige Benachteiligung setzt zunächst voraus, dass einem Wohnungseigentümer Nachteile zugemutet werden, die nicht durch die mit der baulichen Veränderung verbundenen Vorteile ausgeglichen werden. Die bauliche Veränderung muss zu einer treuwidrigen Ungleichbehandlung eines Wohnungseigentümers führen, indem ihm
- Nachteile in größerem Umfang zugemutet werden als den übrigen Wohnungseigentümern, wobei die
- Belange behinderter Wohnungseigentümer zu berücksichtigen sind
Bauliche Veränderung Beispiel:
Der Motor eines Fahrstuhls soll direkt neben einer im Erdgeschoß liegenden Wohnung eingebaut werden, der Eigentümer dieser Einheit würde aufgrund der Geräusche einseitig Nachteilen ausgesetzt, ohne dass diese durch die Gebrauchsmöglichkeit des Fahrstuhles wieder ausgeglichen werden.
Unterhalb der Grenze zur unbilligen Beeinträchtigung soll ein einzelner Wohnungseigentümer einer solchen Maßnahme nicht mit Erfolg widersprechen können.
Grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage
Ob eine bauliche Veränderung die Wohnanlage grundlegend umgestaltet, kann nur im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände entschieden werden. Bezugspunkt ist dabei die Anlage als Ganze.
- Der Begriff der grundlegenden Umgestaltung ist enger zu verstehen als der Begriff der Änderung der Eigenart der Wohnanlage nach § 22 Absatz 2 WEG aF (BT-Drs. 19/18791, 65).
- Eine grundlegende Umgestaltung ist nach dem Willen des Gesetzgebers nur im Ausnahmefall anzunehmen z.B. bei einer Erweiterung der Wohnanlage durch Errichtung eines modernen Gebäudes direkt neben einer Jugendstilvilla.
Der Verwalter muss in Vorbereitung einer Beschlussfassung über die bauliche Veränderung des gemeinschaftlichen Eigentums die vorgenannten Voraussetzungen prüfen, insbesondere, ob einzelne Wohnungseigentümer (und ggf. welche) durch die Maßnahme unbillig beeinträchtigt würden und deshalb deren Zustimmung erforderlich ist. Zudem muss er die Eigentümerversammlung vor der Beschlussfassung über das Ergebnis seiner Prüfung informieren und ggf. auf ein bestehendes Anfechtungsrisiko hinweisen.
Bei Zweifelsfällen, ob eine Zustimmung eines beeinträchtigten Eigentümers erforderlich ist oder nicht, kann der Verwalter statt das Zustandekommen des Beschlusses zu verkünden, eine Weisung der Wohnungseigentümer im Wege eines Geschäftsordnungsbeschlusses einholen (vgl. BGH, 29.5.2020 – V ZR 141/19).
Anspruch auf privilegierte bauliche Veränderungen
§ 20 Abs. 2 WEG:
Jeder Wohnungseigentümer kann angemessene bauliche Veränderungen verlangen, wenn diese folgenden Zwecken dienen:
1. dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen,
- hierunter fallen insbesondere der barrierefreie Zugang, also z.B. eine Rollstuhlrampe, ein Treppenlift etc., angemessen bedeutet in diesem Zusammenhang, dass bei mehreren gleich geeigneten Maßnahmen sich der Anspruch auf diejenige Maßnahme beschränkt, die mit den wenigsten Beeinträchtigungen für die anderen Eigentümer verbunden ist. Kann z.B. die Barrierefreiheit mit einem Treppenlift hergestellt werden, bestünde kein Anspruch auf Installation eines Fahrstuhls
2. dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge,
- Anspruch umfasst zum einen die Anbringung eines Ladepunktes oder einer Ladestation an der Wand - „Wallbox“- die „Ladeinfrastruktur“, die zur Installation, zum Betrieb und zur Steuerung von Ladepunkten notwendig ist, sowie
- die „Leitungsinfrastruktur“, also die Gesamtheit aller Leitungsführungen zur Aufnahme von elektro- und datentechnischen Leitungen in Gebäuden vom Stellplatz über den Zählpunkt eines Anschlussnutzers bis zu den Schutzelementen und auch
- die Verbesserung z.B. die Installation eines Lastmanagementsystems oder Erweiterung der Hausanschlussleistung. (BR-Drs. 168/20, 69),
3. dem Einbruchsschutz
- Dem Einbruchsschutz „dienen“ bauliche Veränderungen, die „geeignet“ sind, den widerrechtlichen Zutritt zu einzelnen Wohnungen oder der Wohnanlage insgesamt zu „verhindern“, zu „erschweren“ oder auch nur „unwahrscheinlicher“ zu machen (BT-Drs. 19/18791, 64, 87). Hierunter fallen z.B. Einfriedungen, Fenstergitter oder Sicherheitstüren, die nach früherer Rechtslage aufgrund einer Änderung des äußeren Erscheinungsbildes der Wohnanlage nicht gegen den Willen der WE durchgesetzt werden konnten.
- Ob § 20 Abs.2 Nr. 3 WEG auch einen Anspruch auf Installation einer Videoüberwachungsanlage begründet ist wegen der damit verbundenen möglichen Grundrechtsbeeinträchtigungen sowie datenschutzrechtlichen Problemen umstritten und bislang nicht höchstrichterlich geklärt.
4. dem Anschluss an ein Telekommunikationsnetz mit sehr hoher Kapazität
- Die baulichen Maßnahmen sollen dem WE in seinem SE die Nutzung eines entsprechenden Telekommunikationsnetzes eröffnen, welches entweder komplett aus Glasfaserkomponenten zumindest bis zum Verteilerpunkt am Ort der Nutzung besteht oder dass jedenfalls zu üblichen Spitzenlastzeiten eine ähnliche Netzleistung in Bezug auf die verfügbare Downlink- und Uplinkbandbreite, Ausfallsicherheit, fehlerbezogene Parameter, Latenz und Latenzschwankung bieten kann (BT-Drs. 19/18791, 65).
Liegen die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 WEG vor, besteht ein Anspruch auf Genehmigung der beantragten privilegierten Maßnahme. Die Eigentümer haben somit keinen Entscheidungsspielraum mehr, „Ob“ die Maßnahme zu genehmigen ist, sie können aber über die konkrete Umsetzung, also das „Wie“ der Maßnahme im Rahmen ihres Auswahlermessens entscheiden. Die WE können also dem beantragenden Eigentümer die Durchführung der Maßnahme gestatten und ihm hierzu auch Auflagen erteilen, sie können aber auch beschließen, dass die GdWE die Maßnahme selbst durchführt und der beantragende Eigentümer insoweit die Kosten zu tragen hat.
Regelungen zur Kostentragung
Der Verwalter muss bei der Abstimmung über bauliche Veränderungen auch wegen der Kostenverteilung der baulichen Maßnahme Besonderheiten beachten, die im Folgenden erläutert werden.
§ 21 Abs. 1 WEG: Wer bestellt bezahlt; wer bezahlt darf benutzen
Die Kosten einer baulichen Veränderung hat grundsätzlich der Wohnungseigentümer zu tragen, der sie beantragt hat, nur ihm gebühren die Nutzungen.
§ 21 Abs. 2 WEG: Alle Wohnungseigentümer haben Kosten nach MEA (§ 16 Absatz 1 Satz 2) zu tragen, wenn die
1. Maßnahme mit mehr als zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen und der Hälfte aller Miteigentumsanteile beschlossen wurde, es sei denn, die bauliche Veränderung ist mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden (z.B. eine Luxusmodernisierung, der Einbau eines Schwimmbades etc.)
2. Die Kosten der Maßnahme sich innerhalb eines angemessenen Zeitraums amortisieren.
Eine Amortisierung ist anzunehmen, wenn die Kosten für die bauliche Veränderung durch Einsparungen gedeckt werden, die auf die bauliche Veränderung zurückzuführen sind (z.B. Einsparung von Heizkosten durch Anbringung einer Wärmedämmung), wobei für die Beurteilung ein Zeitraum von ca. 10 Jahren maßgeblich sein soll.
§ 21 Abs. 3 WEG:
Von den vorgenannten Ausnahmen abgesehen haben grundsätzlich diejenigen Eigentümer, die die bauliche Veränderung beschlossen haben, auch deren Kosten zu tragen.
Um feststellen zu können, welche Eigentümer die Kosten zu tragen haben und welche nicht, kommt der Verwalter in diesen Fällen nicht umhin, eine namentliche Abstimmung durchzuführen und das Beschlussergebnis insoweit auch zu protokollieren.
§ 21 Abs. 5 WEG: Beschluss zur Regelung der Kostentragung
Um auch für Rechtsnachfolger eine etwaige Pflicht zur Kostentragung klar feststellen zu können, ist zu empfehlen, bei jeder Beschlussfassung über bauliche Veränderungen zwingend auch eine flankierende Regelung zur Kostentragung nach § 21 Abs. 5 WEG zu beschließen.
-Der Zweck dieser Vorschrift besteht nach dem Willen des Gesetzgebers gerade darin, Klarheit über die Verteilung der Kosten und Nutzungen einer baulichen Veränderung zu schaffen, was insbesondere dann erforderlich ist, wenn zwischen den WE umstritten ist, ob die zu beschließende bauliche Veränderung den Vorschriften des Absatzes 2 oder des Absatzes 3 unterfällt, ob also alle oder nur bestimmte Wohnungseigentümer kostentragungspflichtig sind (BR-Drs. 168/20, 78).
- Die Beschlusskompetenz bezieht sich sowohl auf die Kosten für die Durchführung der Maßnahme als auch auf deren Folgekosten, also z.B. die zukünftigen Instandhaltungskosten.
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