Die rechtliche Durchsetzung privilegierter baulicher Maßnahmen

Die rechtliche Durchsetzung privilegierter baulicher Maßnahmen

Der Aufzug im Jugendstilhaus / Die Rollstuhlrampe

16.05.2024
Wir hatten schon über die Entscheidungen des BGH vom 9. Februar 2024 berichtet und auch kurz getalkt, hier und hier. Damals kannten wir nur die Pressemitteilungen. Nun haben wir uns die Urteile angeschaut und wollen noch einmal darüber berichten und Praxishinweise dazu geben. 

1. Der Personenaufzug im Jugendstilhaus 

(BGH, Urteil vom 9.2.2024 - V ZR 244/22)
Wichtige Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofes
Wann besteht ein Anspruch auf privilegierte bauliche Maßnahmen nach § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 bis 4 WEG 
Grundsatzentscheidung des BGH, Urteil vom 9.2.2024 - V ZR 244/22 

Mit Beschlussersetzungsklage kann Grundlagenbeschluss erzwungen werden.

Hintergrund

Der Bundesgerichtshof hatte in einer aktuellen Entscheidung zum Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz (WEMoG) bereits entschieden, dass nach der zum 1.12.2020 in Kraft getretenen Gesetzesänderung nunmehr jede bauliche Veränderung eines vorherigen Genehmigungsbeschlusses bedarf.
Nunmehr hatte der BGH in einer weiteren Entscheidung die Gelegenheit, die Voraussetzungen klarzustellen, unter der ein Eigentümer eine sogenannte privilegierte bauliche Veränderung verlangen kann. Danach kann jeder Eigentümer angemessene bauliche Veränderungen verlangen, die dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen dienen. Allerdings regelt das Gesetz auch, dass Veränderungen, die eine Wohnanlage grundlegend umgestalten oder einen Wohnungseigentümer unbillig benachteiligen, nicht zulässig sind. Der BGH hatte nunmehr zu klären, ob und ggf. in welchem Umfange diese Grenzen auch auf die sog. privilegierten Maßnahmen gelten. Die Entscheidungen ergingen zwar zum Anspruch eines Eigentümers auf einen barrierefreien Zugang, die rechtlichen Ausführungen sind jedoch auch für die weiteren privilegierten Maßnahmen, als den Anspruch auf Errichtung einer Ladestation, eines schnellen Internetzuganges und die Installation eines Einbruchschutzes übertragbar.

Problem/Sachverhalt

Der Fall betrifft eine Wohnungseigentumsanlage, die aus zwei kurz nach der Jahrhundertwende gebaute Jugendstil-Häusern besteht, die unter Denkmalschutz stehen. Das Vorderhaus erhielt im Jahr 1983 sogar den Fassadenpreis der Stadt München. Die Eigentümer der Wohnungen im dritten und vierten Stock des Hinterhauses wollten am Treppenhaus auf eigene Kosten einen Außenaufzug anbringen lassen. Da die Miteigentümer den Antrag ablehnten, reichten die Hinterhausbewohner Beschlussersetzungsklage ein – und hatten damit in zweiter und dritter Instanz Erfolg.

Die Entscheidung

Die Errichtung des Aufzugs stellt nach Auffassung des BGH eine im Sinn des § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 WEG angemessene bauliche Veränderung dar, die dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderung dient (Urteil vom 9.2.2024 – V ZR 244/22). Zum einen sei der Bau des Aufzuges für die Miteigentümer nicht mit unzumutbaren Nachteilen verbunden, weil Eingriffe in die Bausubstanz, übliche Nutzungseinschränkungen des Gemeinschaftseigentums und optische Veränderungen einer Wohnanlage durch Anbauten regelmäßig als angemessene bauliche Veränderung zu dulden seien. Zum anderen komme es auf die Kosten der baulichen Veränderung nicht an, da diese gemäß § 21 Abs. 1 S. 1 WEG von dem Wohnungseigentümer zu tragen sind, der die Veränderung wünscht.


Auch die Grenzen des § 20 Abs. 4 WEG seien eingehalten worden, da die Wohnanlage durch den Aufzug nicht grundlegend im Sinn von § 20 Abs. 4 Hs. 1 Alt. 1 WEG umgestaltet werde. Bei der Prüfung dieser Voraussetzung sei zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber im gesamtgesellschaftlichen Interesse bestimmte bauliche Maßnahmen, darunter eben auch die Förderung der Barrierefreiheit, privilegieren wollte. Diesem Umstand sei bei der Prüfung, ob eine grundlegende Umgestaltung vorliegt, im Sinn eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses Rechnung zu tragen. Schließlich werde durch den Bau des Aufzugs auch kein anderer Wohnungseigentümer im Sinn von § 20 Abs. 4 Hs. 1 Alt. 2 WEG unbillig benachteiligt.

2. Anbringung einer Rollstuhlrampe?

(Urteil vom 9.2.2024 – V ZR 33/23) 
In einem weiteren vom BGH entschiedenen Fall, begehrte eine Eigentümerin den Bau einer Rampe als barrierefreien Zugang in ihre Erdgeschoss-Eckwohnung. Im Gegensatz zum vorgenannten Fall wurde die Maßnahme von den Eigentümern mit einfacher Mehrheit als privilegierte Maßnahme gemäß § 20 Abs. 2 S. 2 WEG genehmigt. 
Da sich aber einige Hausbewohner sich an der baulichen Veränderung störten, erhoben Sie gegen den Beschluss Beschlussklage mit dem Ziel, den Beschluss durch das Gericht aufheben zu lassen. Sowohl als Amtsgericht als auch das Landgericht gaben der Beschlussklage statt und gaben den Klägern Recht. 

Der BGH hob die Urteile auf und wies die Klage ab (Urteil vom 9.2.2024 – V ZR 33/23).
Nach Auffassung des BGH kommt es bei einem positiven Beschluss nach § 20 Abs. 2 S. 2 WEG gerade nicht darauf an, ob die Anspruchsvoraussetzungen des § 20 Abs. 2 S. 1 WEG im Einzelnen vorliegen und ob die bauliche Veränderung insbesondere angemessen ist. Auf diese Voraussetzungen komme es nur an, wenn der Anspruch des Wohnungseigentümers abgelehnt wurde und sich dieser dagegen mit Anfechtungsklage oder Beschlussersetzungsklage wehrt.

Der BGH stellt insoweit klar, dass die Wohnungseigentümer eine bauliche Veränderung auch dann durch Mehrheitsbeschluss genehmigen dürfen, wenn sie die Anspruchsvoraussetzungen nicht als gegeben ansehen oder jedenfalls Zweifel daran bestehen. Lediglich die Grenzen des § 20 Abs. 4 WEG müssten bei der Beschlussfassung beachtet werden. Da vorliegend der Bau der Rampe nach Auffassung des BGH weder zu einer eine grundlegenden Umgestaltung der Wohnanlage noch zu einer unbilligen Benachteiligung anderer Wohnungseigentümer führe, seien die Grenzen des § 20 Abs. 4 WEG eingehalten, sodass es auf die weiteren Anspruchsvoraussetzungen des § 20 Abs. 2 S. 2 WEG nicht mehr ankomme.

Praxishinweis

Der BGH hat die Anspruchsvoraussetzungen für die Genehmigung baulicher Veränderungen durch die vorgenannten Entscheidungen im Wesentlichen geklärt. 
- Danach bedarf zunächst jede bauliche Genehmigung eines Genehmigungsbeschlusses. Bei der Beschlussfassung müssen die Eigentümer die Grenzen des § 20 Abs. 4 WEG beachten. 
- Wird die Genehmigung abgelehnt, muss der betroffene Eigentümer gegen die ablehnende Entscheidung mit der Beschlussersetzungsklage vorgehen und dabei sämtliche Anspruchsvoraussetzungen darlegen.  
- Handelt es sich bei den Maßnahmen um privilegierte Maßnahmen besteht regelmäßig ein Anspruch auf Genehmigung, 
- eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage oder eine unbillige Benachteiligung der übrigen Eigentümer ist bei derartigen Maßnahmen grundsätzlich nicht anzunehmen.

Autor: Rechtsanwalt Michael Schmidt M.L.E., GROSS Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Bildnachweis: Pexels

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