Mord und Totschlag

Mord und Totschlag
21.04.2021

Mord und Totschlag

Für die 16. Kalenderwoche stand ein Beitrag über Kündigung wegen Vertragsverstößen in meinem Plan. Juristisch gesprochen geht es im folgenden Beitrag um die Verdachtskündigung. Tatsächlich gibt es dazu ein ungewöhnliches neues Urteil des OLG Frankfurt am Main über den wohl ultimativen Vertragsverstoß. Die fristlose Kündigung des Gewerbemietverhältnisses ist gerechtfertigt, wenn gegen den Geschäftsführer der Mieterin der dringende Tatverdacht besteht, den Vermieter getötet zu haben (Urteil vom 31.3.2021, Az. 2 U 13/20 – zitiert nach der Pressemitteilung). Was ist hier passiert und wie ist das juristisch zu werten?

Fall

Ein Ehepaar hatte eine Gewerbefläche an eine Gesellschaft vermietet. Bereits 2015 gab es einen Rechtsstreit, der mit einem Vergleich endete, worin die Mieterin zahlreiche Verpflichtungen übernahm. Sie hielt diese jedoch in der Folgezeit nicht ein. Daher kündigten die Vermieter das Mietverhältnis fristlos. Das Landgericht Hanau hat am 19.12.2019 die Klage abgewiesen. Die Vermieter gingen in Berufung. Kurz danach wurde der Vermieter vermisst gemeldet. Nur sein Handy und sein Auto wurden gefunden. Die Polizei ermittelt gegen den Geschäftsführer der Mieterin wegen Totschlags. Er sitzt in Untersuchungshaft. Wegen dieses Verdachts kündigte die Vermieterin das Mietverhältnis erneut fristlos und stützte die Räumungsklage nun auch auf diese Kündigung. Das OLG Frankfurt hält diese Kündigung für wirksam und verurteilte die Mieterin zur Räumung.

Grundsätzlich ist es so, dass nur bewiesene Vertragsverstöße zu einer Kündigung des Mietverhältnisses führen können. Bei den „normalen“ Vertragsverstößen, wie Lärmbelästigungen oder unpünktlichen Mietzahlungen, läuft es so: Der Vermieter erklärt eine Abmahnung und beim nächsten gleichgelagerten Vertragsverstoß kann die fristlose Kündigung ausgesprochen werden. Wenn der Mieter die Vertragsverstöße bestreitet, wird im Räumungsprozess geprüft, ob die Vertragsverstöße bewiesen werden können und ob die Schwere der Vertragsverstöße eine Kündigung rechtfertigt. Tätlichkeiten oder schwere Beleidigungen gegen den Vermieter können auch ohne Abmahnung zu einer Kündigung führen, wiederum je nach Schwere der Tat. Im Arbeitsrecht ist unter Umständen auch eine Verdachtskündigung möglich. Im Mietrecht wird die Verdachtskündigung meist abgelehnt. Aber Mord und Totschlag? Kann also ein Mieter gekündigt werden, wenn lediglich der Verdacht eines Vertragsverstoßes besteht? Das bejaht das OLG Frankfurt für besonders schwere Pflichtverletzungen.

„Handele es sich aber um eine besonders schwere Pflichtverletzung, wie etwa den Verdacht, dass der Mieter den Vermieter vorsätzlich getötet oder ermordet habe, so reiche eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Begehung der Tat aus, falls wegen dieser gegen den Mieter Untersuchungshaft angeordnet worden sei.“

Wie bei jeder Entscheidung ist auch hier der Einzelfall zu berücksichtigen. Es geht bei der Kündigung um die Zumutbarkeit der Fortsetzung eines Vertragsverhältnisses. In der Regel ist dem Vermieter zumutbar, die rechtskräftige Verurteilung abzuwarten. Bei besonders schweren Straftaten kann dies aber nicht gelten. So hatte das LG Itzehoe bereits 2018 entschieden, dass auch vor der Rechtskraft der Verurteilung eine Kündigung ausgesprochen werden konnte. In dem Fall ging es um sexuellen Missbrauch der gemeinsamen Tochter, die der Mieter gestanden hatte.

Grundsätzlich dürfte nun nach der Rechtsprechung gelten, dass eine Verdachtskündigung nur dann zulässig ist, „wenn sich starke Verdachtsmomente auf starke objektive Tatsachen gründen, wenn die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören und wenn der Kündigende vor Ausspruch der Kündigung alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Vertragsgegner Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat“ (AG Lichtenberg, Urteil vom 20.1.2003, Az. 7 C 319/02; BAG, Urteil vom 12.8.1999, Az. 2 AZR 923/98).

Fazit

Verdachtskündigungen sind im Gewerberaummietrecht möglich, wenn es um besonders schwerwiegende Pflichtverletzungen, wie Totschlag, geht und die überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Begehung der Tat besteht. Für das Wohnraummietrecht hat das LG Itzehoe bereits ähnlich entschieden. Diese Verdachtskündigungen sind aber die krasse Ausnahme. Es müssen nicht nur die Vorgaben des Arbeitsrechts (alle zumutbaren Anstrengungen zur Ermittlung objektiver Tatsachen, Gelegenheit zur Stellungnahme) vorliegen; darüber hinaus muss sich der Verdacht auf eine besonders schwerwiegende Verletzung beziehen.

Autor: GROSS Rechtsanwaltsgesellschaft mbH

Bildnachweis: Pixabay


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